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Ankommen in der Oberlausitz

Hoffnung für Mama und Papa

Honig für Mahan

Advent heißt Ankunft. Für die Menschen in Bautzen Zeit für Besinnlichkeit, Vorfreude auf das Weihnachtsfest. Eigentlich auch Harmonie. Mahan`s (2 Jahre jung) Vater Rahim spricht mit einem fremden Mann (aus Bautzen) über das neue Leben seiner Familie, in diesem fremden Haus, an diesem fremden See, in dieser fremden Stadt….

Foto: Mahan Quelle: Pressestelle Bautzen

Hand in Hand in der Hoffnung auf ein besseres Leben: Mahan, 2 Jahre, lebt derzeit im Spreehotel. Mit seinen Eltern, die in Deutschland Asyl suchen, ist der kleine Junge aus dem Iran geflohen.

Diese Harmonie des Advent scheint in Bautzen derzeit schwer gestört. Einige Bautzener stören sich an Menschen, die in den vergangenen Monaten in Bautzen angekommen sind. Asylsuchende, die nun auch in unserer Stadt untergebracht werden. Man hat nichts gegen die Fremden, aber ... Wenn Vorurteile Begegnung ersetzen, wenn Ablehnung statt Willkommen dominiert, sollte die einfache Wahrheit in Erinnerung gerufen werden, dass auch Asylsuchende Menschen sind. Menschen mit Geschichten, Gefühlen, Träumen und Ängsten. Ein Besuch im Spreehotel.

Maryam hat sich auf den Boden des kleinen Zimmers gesetzt und bestreicht selbstgebackene Fladenbrote mit Honig. „Mahan liebt Honig über alles“, lächelt die 27-jährige Iranerin. Sohn Mahan ist zwei Jahre alt, hat gerade sein kleines Nickerchen beendet und lässt es sich schmecken, während Vater Rahim mit diesem fremden Mann über ihr neues Leben, in diesem fremden Haus, an diesem fremden See, in dieser fremden Stadt spricht. Gleich darauf tobt Mahan mit seinem Freund Shahrad durch jenen Raum, der einst als Vier-Sterne-Zimmer Bautzener Gäste beherbergte. Shahrad ist drei Jahre älter und wohnt gleich nebenan, mit Mama Zahra und Papa Aliyar.

Viel lieber würden Mahan und Shahrad sicher durch die Straßen ihrer Heimatstadt Isfahan toben. Mit ihren Freunden, den Cousinen und Cousins. Shahrad würde bald in die Schule gehen. Die Eltern würden weiter als Friseur, Maler oder Ladeninhaber ihrer Arbeit nachgehen, gemeinsam mit ihren Familien – und dazu zählen in der Regel bis zu 150 Personen – das Leben genießen.

Seit einigen Monaten haben sie jedoch die Schönheit der iranischen Provinzstadt gegen ein paar Quadratmeter in den Zimmern im Bautzener Spreehotel eingetauscht. Die Heimat verlassen, die Familie, die Freunde, den Beruf, ihre Träume, ihre geordneten Lebenspläne. Im Spreehotel warten Zahra, Aliyar, Maryam und Rahim nun auf den guten Ausgang ihrer Asylverfahren. Warten ist dabei keine einfache Sache. Die Einkaufsmöglichkeiten sind weit entfernt, beim Aufwachsen der Kinder in einem Schmelztiegel aus fast 20 Nationen mit teils verschiedenen Kulturen bleibt Ärger nicht aus. Diese Alltagsprobleme sind jedoch nichts gegenüber der größten aller Sorgen: Können wir in Deutschland bleiben? „Wir hören oft von abgelehnten Anträgen, von Abschiebungen“, erzählt Aliyar. Die Frage nach der Zukunft in Deutschland ist immer im Kopf, vor allem in der Nacht kann das den Schlaf rauben. Was passiert, wenn der Asylantrag abgelehnt wird? „Es gibt keinen Plan B“, meint Rahim. Dennoch, das beteuern sie, sei die Familie sehr froh und dankbar, in Bautzen aufgenommen worden zu sein. Immer wieder bittet er, in diesem Beitrag Worte des Dankes an die Bautzener zu schreiben. „Wir haben keine Ablehnung in Bautzen erlebt, sondern sehr viel uneigennützige Hilfe“, meint Rahim und auch Maryam, Zahra, Aliyar nicken.

Eines ist klar: In den Iran können sie nicht zurück, auch wenn das Herz an der Heimat hängt. Wer sich Zeit nimmt und den Geschichten der iranischen Christen zuhört, versteht das. Es ist der zunehmend radikale Islamismus, der diese sechs Iraner aus dem Land trieb.

Rahim, 38 Jahre alt, stellte nicht nur kritische Fragen, sondern besaß auch verbotene Bücher, wurde verhaftet und nutzte eine anstehende Verlegung zur Flucht, nahm dann auch den kleinen Mahan und seine Frau Maryam mit auf die Reise ins Ungewisse. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte, was ist richtig, was ist falsch, sollen wir bleiben oder gehen“, erinnert sich Maryam. „Ich liebe Isfahan, ich vermisse es.“ Ihr Sohn sei Gott sei Dank noch zu klein, um diese harte Wende im Leben der Familie für sich zu realisieren.

Mit seinen fünf Jahren ist Shahrad jedoch bereits sehr bewusst, dass sich sein Leben komplett verändert hat. Ihm fehlt die Großfamilie, sein Spielzeug. Wenn er am Telefon der Eltern mit seinen Tanten oder Cousinen sprechen könnte, bringt Shahrad kein Wort über die Lippen, die Tränen kullern über sein Gesicht. „Wir versprechen ihm dann, dass es besser wird.“ Shahrads Leben in Isfahan sei ein sehr gutes gewesen, es habe an nichts gefehlt, die Großfamilie hatte ihn mit Spielzeug fast überschüttet, berichten seine Eltern. Das hat seinen guten Grund: Er ist nicht nur ein Wunschkind, Shahrad ist für Zahra und Aliyar ein Geschenk Gottes.

 „Wir waren damals 18 Jahre verheiratet, 13 Jahre hatten wir versucht ein Kind zu bekommen, aber es hat nicht geklappt“, erzählt die 35-Jährige. Ihr Mann Aliyar habe darüber auch mit einem Freund gesprochen, einem Christen. „Sprich mit Jesus“, habe der ihm geraten. „Sprich zu ihm von ganzem Herzen.“ Aliyar sprach. Zahra wurde schwanger. „Wir haben Gott versprochen, Shahrad taufen zu lassen und uns ebenfalls“, sagt Aliyar. Was in Deutschland eine wichtige, aber keine gefährliche Angelegenheit darstellt, bedeutet für Moslems im Iran den Tod. „Wir haben uns daher für die Ausreise aus dem Iran entschieden, anders als bei Rahim war es bei uns jedoch ein längerer Prozess.“ Die Familie verkaufte Hab und Gut, darunter auch das gut laufende Geschäft mit Haushaltselektronik. Um die Flucht nicht zu gefährden, erzählten sie den Verwandten etwas von einem längeren Auslandsaufenthalt. „Man kann nie wissen, wer etwas erzählt, aus welcher Quelle die Geheimpolizei von Plänen wie diesen erfährt“, sagt Aliyar. „Die Gefahr hat 1000 Augen und 1000 Ohren, man muss aufpassen, was man erzählt, den Nachbarn, vor allem aber auch den Kindern“, bestätigt Rahim, der wie seine Landsleute auch in Deutschland Angst vor dem iranischen Geheimdienst hat. Nicht um sich selbst, Maryam oder den kleinen Mahan, aber er befürchtet Repressalien für die Familienangehörigen im Iran.

Hier in Deutschland fühlt sich Rahim sicher, trotz kleiner oder großer Alltagssorgen. „Wenn ich höre, wie radikale Menschen im Iran Frauen wegen angeblicher Gotteslästerungen mit Säure angreifen, bin ich sehr froh hier zu sein.“ Auch den Advent und das Weihnachtsfest können sie hier endlich offen feiern, wahrscheinlich mit neuen Freunden aus der Kirchgemeinde, mit denen sie regelmäßig den Gottesdienst besuchen, sich Gedanken um Weihnachtsgeschenke machen. Zwar habe man das Fest auch im Iran mit gebratenem Geflügel und Keksgebäck gefeiert, aber eher im Stil eines Geburtstags. Ohne Kirchgang, Weihnachtsbaum, Geschenke, Weihnachtspost. Eine Kirche gibt es zwar in Isfahan, vor allem für die armenischen Christen, aber das offene Leben als Christ ist nicht möglich. Für Moslems, die zum Christentum übertreten, schon gar nicht. „Das bringt dich ans Schwert“, sagt Rahim. Entweder man ist Moslem und mit Gott oder Kufr, also gegen Gott. Die Grenze ist dabei schnell überschritten. Maryam wurde einmal verhaftet, weil ein Teil ihres Haares aus dem Schleier hervorschaute. Die Freiheit, die Abwesenheit von einem grausamen Gottesbild, die Erfahrung eines gütigen und liebenden Glaubens, das sind Hoffnungen, die sich für Maryam, Rahim, Zahra und Aliyar in Bautzen bereits erfüllt haben.

Es bleiben weitere Träume, kleine und große Punkte auf einem gedanklichen Wunschzettel. Einen Iran, dem es besser geht, der seine Kultur nicht verliert, in dem Menschen unabhängig von ihrer Religion, Herkunft und Sprache gleich behandelt werden, das wünschen sich alle vier.

Bis dahin ist es der größte Wunsch, in Deutschland bleiben zu dürfen. Sich einzubringen, arbeiten zu gehen, für die Familie zu sorgen.

 „Ohne Arbeit ist Mann krank“, meint Rahim. Mit einer Arbeitserlaubnis könnte er eine Stelle als Maler suchen. Aliyar würde gern als Busfahrer arbeiten, Maryam gern eine Tätigkeit aufnehmen, bei der sie viel mit Menschen arbeiten kann. Zahra, gelernte Friseurin, hat einen speziellen Wunsch: „Ich würde gern mal Frau Merkel frisieren.“

Mahan und Shahrad haben noch keinen Wunschzettel geschrieben. Ideen gibt es dennoch: Etwa ein kleines Spielzeughandy für Mahan. „Und Honig“, lacht Maryam und steckt dem kleinen Mahan ein weiteres Stück Fladenbrot zu. Manchmal hält das Leben eben trotz aller bitterer Herausforderungen ein paar süße Seiten bereit.

Tobias Schilling

Stadt Bautzen
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Tobias Schilling (05.12.2014)

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